1. Mai Rede 2024 in Neumünster

Datum

Ordnungsnummer PM031

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

danke, dass ihr hier seid. Heute, am 1. Mai, dem höchsten Feiertag für uns als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, setzen wir ein starkes Zeichen hier in Neumünster. Unser Motto ist: „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit.“ Diese drei Ziele erreichen wir mit starken Tarifverträgen. Gerade jetzt, wo die Inflation immer noch im Portemonnaie zu spüren ist, haben wir starke Tarifabschlüsse erzielt. Darauf können wir zu Recht stolz sein!

Um das an dieser Stelle ganz klar zu sagen: Ja – wir bereiten uns auch in diesem Jahr auf heftige Tarifrunden vor. Mit den starken Abschlüssen im letzten Jahr haben wir, die Gewerkschaften, dafür gesorgt, dass die Kolleginnen und Kollegen deutlich mehr in der Tasche haben.

Unterm Strich sieht es aber noch immer anders aus: Was wir 2021 und 2022 durch die Inflation an Reallohn verloren haben, das ist noch längst nicht wieder ausgeglichen. Und deshalb ist es nur recht und billig, wenn die Gewerkschaften in den anstehenden Tarifrunden dafür sorgen, dass die Arbeitgeber noch eine ordentliche Schippe drauflegen. Wir wollen mehr Lohn. Weil wir es verdienen!

Wir feiern dieses Jahr nicht nur 75 Jahre Grundgesetz. Was wir auch feiern, ist 75 Jahre Tarifvertragsgesetz und das liebe Kolleg*innen, war kein Geschenk. Das haben wir, die Gewerkschaften, erkämpft und immer wieder verteidigt. Seit 1949 wurden knapp eine halbe Million Tarifverträge abgeschlossen. Trotzdem geht die Quote von Unternehmen mit Tarifverträgen in Schleswig-Holstein eher nach unten als nach oben! Wir haben momentan etwa 50% Betriebe mit einem Tarifvertrag in Schleswig-Holstein. Toll, könnte man denken. Vor 25 Jahren waren das aber mal knapp 70%! Was ist da passiert?

Da fragt man sich doch, was die Arbeitgeber sich eigentlich denken. Die sollten doch den Wert von Tarifverträgen kennen? Jedes Unternehmen spricht vom Fachkräftemangel. Fragt doch einfach mal nach, wenn Unternehmen über zu wenige Fachkräfte klagen: Habt Ihr eigentlich einen Tarifvertrag?

Und dann kommen allen Ernstes irgendwelche Politiker auf die Idee, am Arbeitszeitgesetz zu rütteln. Die wollen an unsere Rechte, für die wir gekämpft haben. Arbeitszeiten verlängern, Arbeitsdruck erhöhen. Das ist ja nun mit Abstand das Dümmste, was ich seit langem aus Berlin gehört habe.

Warum finden denn Unternehmen niemanden, um Stellen zu besetzen? Wenn man sie fragt, dann jammern sie: Die Bewerber*innen wollen mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Da können wir doch nur sagen: Richtig so!

Wir wollen Arbeitszeiten, die zu unserem Leben passen:

  • Arbeitszeiten, die wir uns freier einteilen können – aber mit klaren Grenzen.
  • Mehr Freizeit für Familie, Freunde, Sportverein, Kultur oder auch für die Gewerkschaft.
  • Wir brauchen mehr partnerschaftliche Arbeitszeiten – denn Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur Frauensache. Das sollten wir doch in 2024 langsam draufhaben, oder?

Ich möchte mit euch über Streik reden. Wir hatten drei ganz besondere Streiks in diesem und im letztem Jahr hier in Schleswig-Holstein.

Ich war schwer beeindruckt, was der öffentliche Dienst da letztes Jahr geleistet hat. Das war etwas ganz Besonderes. Liebe Kolleginnen und Kollegen in ver.di, GdP, GEW und IG BAU: Ihr habt die Straßen und Plätze vollgemacht! Bei Schnee und Minusgraden waren wir im Dezember vor dem Landtag und haben klar gemacht: Wir sind die Profis! Wir verdienen mehr! Wir haben zu Recht mehr erwartet – und am Ende haben wir gemeinsam ein ordentliches Plus durchgesetzt. So geht gewerkschaftliche Solidarität im DGB. Dankeschön!

Einige von euch haben vielleicht von Vestas gehört, dem großen Windkraftunternehmen bei Husum. Liebe Kolleginnen und Kollegen, kann sich ein Arbeitgeber wirklich so stur stellen? Die Antwort lautet: Ja! Aber die Beschäftigten sind stärker. Und sie haben gestreikt. 123 Tage. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 123 Tage Streik für einen Tarifvertrag. Und sie hatten Erfolg. 1 Jahr lang hat der Arbeitgeber auf stur geschaltet und mit der IG Metall nicht mal geredet. Und jetzt haben die Beschäftigten nach 123 Tagen endlich einen Tarifvertrag. Das war einer der längsten Streiks in der Geschichte der IG Metall. Lasst uns einen großen Applaus nach Nordfriesland senden für so viel Durchhaltevermögen. Wir sind stolz auf euch!

Und da heißt es immer, die Gewerkschaften sind so träge – die haben sogar den kompletten ÖPNV lahmgelegt! Gut so! Monatelang wurden die Kolleginnen und Kollegen von ver.di vertröstet und mit frechen Angeboten der Arbeitgeber abgespeist. Und dann habt ihr am Wochenende gestreikt, damit wir unter der Woche zur Arbeit kommen und die Schüler*innen in die Schule. Das war mehr als fair von euch. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich bin jeden Kilometer, den ich zu Fuß gegangen bin, gerne gegangen. Jeden Euro, den ich nach der Kneipe im Taxi bezahlt hab, habe ich gerne bezahlt, weil ich wusste, es ist für eine verdammt gute Sache. Unter dem #Wirfahrenzusammen habt ihr gemeinsam mit FridaysForFuture nicht nur für gute Tarifverträge, sondern auch für eine Verkehrswende gekämpft. Gewerkschaftsarbeit ist so viel mehr als nur Tarifverträge abschließen. Gewerkschaft ist auch die Verteidigung unserer demokratischen Grundrechte. Zum Beispiel: Unser Streikrecht. Und da gibt es doch allen Ernstes Politiker*innnen, die da ran wollen. Natürlich greifen wir zum Mittel des Arbeitskampfes, wenn uns die Arbeitgeber keinen Zentimeter entgegenkommen wollen. Die, die jetzt lautstark über das Streikrecht klagen und uns vorwerfen, wir würden das Land mit Arbeitskämpfen lahmlegen, die sollten mal kurz Luft holen und nachdenken: Wie ist das eigentlich? Wenn Arbeitgeber in Tarifverhandlungen blocken und sich Gewerkschaften gezwungen sehen, zum Streik aufzurufen – dann kann man das doch wohl kaum als Vorwurf bei den Gewerkschaften abladen, oder?

Wir sagen: Hände weg vom Streikrecht! Wer das Streikrecht angreift, greift auch unsere Grundrechte an. Nicht mit uns, liebe Kolleginnen und Kollegen.  

Wenn wir für unsere Löhne und gute Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen, geht es uns am Ende besser. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir stehen in den Tarifkämpfen solidarisch an der Seite unserer Schwestergewerkschaften im DGB.

Das gilt im Übrigen auch für uns als Gesellschaft. Ich kann die Leier nicht mehr hören. Das Bürgergeld sei zu hoch, da lohnt sich ja für manche das Arbeiten gar nicht mehr. Liebe Politiker, ihr seid da einer ganz großen Sache auf der Spur und so nah dran, es zu verstehen. Das Bürgergeld ist nicht zu hoch, die Löhne sind zu niedrig! Wie soll man denn vom Mindestlohn im Gastgewerbe, liebe Kolleg*innen von der NGG, eine viel zu hohe Miete, Kitaplatz und Lebensmittel bezahlen? Von Eis essen und Urlaub brauchen wir da doch gar nicht mehr anfangen. Die Sparpolitik der letzten Jahrzehnte rächt sich jetzt. Das fängt schon bei den Kleinsten an. Ist es sozial, wenn ich für Krippe und Kita viel Geld bezahlen muss? Mir womöglich sogar ausrechnen muss, wie viele Stunden ich mein Kind dorthin geben kann?  Und trotz der engagierten Arbeit der Erzieher*innen und Sozialpädagogischen Assistent*innen wird es für die Kitas immer schwieriger den Bildungsauftrag zu erfüllen. Weil Gruppen zu groß sind und pädagogische Fachkräfte fehlen, droht die frühkindliche Bildung in den Hintergrund zu geraten. Kitas dürfen nicht zu Verwahranstalten werden! Wenn die Kinder dann in die Schule kommen, landen sie oft in Bildungseinrichtungen mit kaputten Sanitäreinrichtungen, alten Tischen und Stühlen und dem Diercke Weltatlas mit den Grenzen von 1989. Was nützt mir eine digitale Ausstattung, wenn die Lehrkräfte für den Unterricht fehlen? Und das in einem Schulsystem, in dem die soziale Schere viel zu weit auseinanderklafft.  Unsere Kinder haben mehr verdient. Unsere Pädagog*innen haben mehr verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das alles ist nicht unbezahlbar. Man muss es nur wollen!

Es ist doch am Ende ganz einfach: Die Schuldenbremse muss reformiert werden, wenn wir als Land zukunftsfähig und innovativ sein wollen. Das, was wir im Moment nicht nur, aber auch im Bildungssystem einsparen und kürzen, zahlen wir in wenigen Jahren doppelt und dreifach oben drauf. Wie viele Schüler*innen heute die Schule ohne Abschluss verlassen und wenig Zukunftsperspektive haben, macht mir richtig Bauchschmerzen. Und genau die fehlen doch dann auch in den Betrieben, in den Ausbildungsgängen. Das kann es nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.  

Es reicht in unserer Demokratie nicht, nur auf die Politiker*innen zu schimpfen: Immerhin haben wir eine Demokratie. Die dürfen wir uns nicht kaputt machen lassen. Das heißt aber auch: Wir müssen uns selbst engagieren. In weniger als 6 Wochen stehen die Wahlen zum Europa-Parlament an. In schwierigen Zeiten wie diesen wird unsere Demokratie auch dort auf die Probe gestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst euch nicht hinreißen, auf die geistigen Brandstifter der AfD zu hören, die ihre menschenfeindliche, rassistische, sexistische Haltung nicht mehr verbergen, sondern ganz offen nach außen tragen. Lasst euch nicht vom Spitzenkandidaten der AfD auf TikTok erzählen, dass echte Männer rechts sind. Übrigens derselbe „Politiker“, dessen Mitarbeiter wegen Verdacht auf Spionage für China jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Wenn wir eins aus der Geschichte gelernt haben, ist es, dass Nazis das umsetzen, was sie in ihre Programme schreiben. Das müssen wir gemeinsam verhindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Geht wählen. Wählt demokratisch. Nehmt euren Nachbarn, eure Kollegin, euren Kumpel, die Bekannte, nehmt alle mit an die Wahlurne. Fordert eure Arbeitgeber auf, die Stunde für Demokratie in euren Betrieben umzusetzen. Gleichberechtigung, Solidarität und demokratische Werte geben wir nicht am Werkstor, in der Umkleide oder an der Schultür ab. Wir müssen Sie leben und uns immer wieder für sie einsetzen. Es geht nur gemeinsam und solidarisch. Für „Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit.“ Und für die Menschlichkeit in ganz Europa. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche euch einen schönen ersten Mai.

Ein Hoch auf die internationale Solidarität.

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