Nach der Entscheidung des EuGH zur EU-Mindestlohnrichtlinie am 11. November sind die EU-Mitgliedsstaaten nun verpflichtet, für eine höhere Tarifbindung zu sorgen, wenn sie unter 80 Prozent der Beschäftigten im jeweiligen Mitgliedsstaat liegt. Die Bundesregierung ist somit aufgefordert, schnellstmöglich einen wirkungsvollen Aktionsplan für mehr Tarifverträge auf den Weg zu bringen.
Aus dem Urteil ergibt sich auch für den Hamburger Senat der Auftrag an der Steigerung der Tarifbindung mitzuwirken: Laut IAB-Betriebspanel arbeitet in Hamburg mit 46 Prozent noch nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb. Hamburg hat die zweitschlechteste Tarifbindung in Westdeutschland und ist sehr weit von der 80 Prozent-Zielmarke der EU-Mindestlohnrichtlinie entfernt.
„Ein wirkungsvoller Hebel zur Stärkung der Tarifbindung ist die Einführung eines starken Tariftreuegesetzes, für das wir als Gewerkschaften schon seit Jahren kämpfen“, sagt Tanja Chawla, Vorsitzende des DGB Hamburg. „Tariftreue meint, dass öffentliche Aufträge nur Unternehmen ausführen dürfen, die Tarifverträge anwenden. Dies stärkt den Wettbewerb über Qualität und verhindert, dass tarifgebundene Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen haben, die Lohndumping betreiben.“
Im rot-grünen Koalitionsvertrag des Hamburger Senats wurde festgeschrieben, das Bundestariftreuegesetz als „praxisgerechte Blaupause“ für ein Tariftreuegesetz in Hamburg zu begreifen. Das Bundestariftreuegesetz sieht jedoch einen Schwellenwert von 50.000 Euro vor und schließt damit zu viele kleinere Aufträge – gerade im Handwerk und Mittelstand – aus.
„Die Schwellenwerte für ein Hamburgisches Tariftreuegesetz müssen derart gestaltet sein, dass sie alle, hilfsweise den Großteil der öffentlichen Aufträge erfassen“, so Tanja Chawla, Vorsitzende des DGB Hamburg. „Wir haben die klare Erwartung, dass das Tariftreuegesetz sofort bei Liefer- und Dienstleistungen bei einem Auftragswert von 10.000 Euro und bei Bauaufträgen von 50.000 Euro greift“, so Hamburgs DGB-Vorsitzende.
Sandra Goldschmidt, Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft ver.di: „Es darf kein Steuergeld für Unternehmen geben, die ihre Beschäftigten schlecht bezahlen oder ihnen schlechte Arbeitsbedingungen bieten – gute Arbeit gibt es nur mit Tarifvertrag. Deshalb braucht es endlich klare gesetzliche Vorgaben, die diesem systematischen Unterbieten bei Löhnen und Standards ein Ende setzen. Die Mindestanforderungen an ein anständiges Tariftreue- und Vergabegesetz sind, dass die branchenspezifischen Tarifverträge inklusive der Regelungen wie Urlaub, Arbeitszeit und Jahressonderleistungen fest verankert werden.“
Anne Widder, NGG-Geschäftsführerin: „In der Gastronomie wird – Stand heute – in vielen Betrieben nur der Mindestlohn bezahlt. Daher ist das Tariftreuegesetz aus Sicht der NGG für das Gastgewerbe von besonderer Bedeutung. So kann gewährleitet werden, dass öffentliche Aufträge – wie etwa bei Veranstaltungen und Catering im öffentlichen Auftrag oder Gastronomiebetrieben in öffentlichen Einrichtungen, nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Mitarbeitenden tariflich geregelte Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen bieten.“
Adrian Ciancia, Geschäftsstellenleiter der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG): „Beim Ausschreibungswettbewerb im ÖPNV müssen die Beschäftigten in turnusmäßigen Abständen um ihre Arbeitsplätze zittern. Wir fordern, dass in jedem Vergabeverfahren vorgeschrieben wird, dass im Falle eines Betreiberwechsels den bereits Beschäftigten ein Übernahmeangebot gemacht wird. Für sie müssen beim neuen Betreiber mindestens die gleichen Arbeitsbedingungen gelten wie beim bisherigen Betreiber, betriebsbedingte Kündigungen sind für die Dauer des Verkehrsvertrages ausgeschlossen. Subvergabeketten sind zu begrenzen und ebenfalls nach Tariftreueregeln zu vergeben.“
Alexander Kahl, Mitglied im Bezirksvorstand der IG BAU, übt scharfe Kritik: „Wir haben langsam die Faxen dicke. Seit Jahren reden wir mit dem Hamburger Senat über bessere Bedingungen und mehr Tarifbindung – aber ohne ein wirksames Tariftreuegesetz ändert sich nichts. Es kann nicht sein, dass öffentliche Gelder in Betriebe fließen, die ihre Leute zu Dumpinglöhnen arbeiten lassen.“
„Hamburg kann nur Stadt der Guten Arbeit werden, wenn sie auch Stadt des Guten Tariftreue – und Vergabegesetzes ist“, unterstreicht die DGB-Vorsitzende Tanja Chawla. „Die Arbeitnehmer*innen in unserer Stadt müssen sich darauf verlassen können, dass politische Zusagen auch in die Tat umgesetzt werden. Wir erwarten nun einen guten Gesetzesentwurf, der niedrige Schwellenwerte und Rechtssicherheit im Vorgehen schafft“, so Chawla.