Kein Kahlschlag bei Arbeits- und Sozialgerichten: DGB Nord und Bündnispartner protestieren in Kiel gegen Pläne der Landesregierung
Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbänden sowie Anwalts- und Richterverbänden hat heute vor dem Landeshaus in Kiel gegen die geplante Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialgerichten durch die Landesregierung von Schleswig-Holstein demonstriert. Rund 300 Demonstranten machten lautstark auf die schwerwiegenden Folgen des Vorhabens aufmerksam. Neben dem DGB Nord haben der Sozialverband Deutschland (Landesverband Schleswig-Holstein), der Sozialverband VdK Nord, der Schleswig-Holsteinische Richterverband, die Neue Richtervereinigung (Landesverband Schleswig-Holstein), die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen und der Schleswig-Holsteinische Anwalt -und Notarverband zu den Protesten aufgerufen.
Verstoß gegen den Koalitionsvertrag
Die Landesregierung plant, die bisherigen Standorte der Arbeits- und Sozialgerichte an einem noch festzulegenden zentralen Standort zu bündeln. Dieser Schritt steht in direktem Widerspruch zu den Vereinbarungen im aktuellen Koalitionsvertrag, in dem es heißt: „Davon unberührt werden wir aber alle Standorte der schleswig-holsteinischen Justiz erhalten. Hierdurch sichern wir den unkomplizierten Zugang zur Justiz überall in Schleswig-Holstein.“ Mit der geplanten Zentralisierung würden sämtlich Standorte faktisch aufgegeben – zum Nachteil von Beschäftigten, ehrenamtlichen Richtern und vor allem den Rechtsuchenden.
Weitreichende Nachteile für Bürger und Beschäftigte
Die geplante Zentralisierung gefährdet den Zugang zur Justiz und erschwert die Arbeitsbedingungen erheblich. „Die Beschäftigten müssten unzumutbare Entfernungen zu ihrem Arbeitsplatz in Kauf nehmen“, warnte Gabriele Wegner, Regionsgeschäftsführerin DGB Nord-West, bei der Kundgebung in Kiel. Es sei eine Illusion, dass durch die sogenannte Justizreform ein Personalabbau in der Justiz verhindert werden kann. Viele Beschäftigte werden sich einen neuen Job suchen. Teilweise tun sie das aufgrund der Ankündigung bereits jetzt.
Darüber hinaus befürchtet das Bündnis, dass die Bereitschaft der weit über 1.000 ehrenamtlichen Richter*innen ihr Amt weiterhin auszuüben, durch die geplanten Umstrukturierungen dramatisch sinken könnte. Die zusätzlichen Anfahrtswege und der Zeitaufwand, der durch die Zentralisierung entstünde, würden viele Menschen von einem ehrenamtlichen Engagement abhalten.
Gerade in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit erscheinen viele Rechtsuchende persönlich vor Gericht und lassen sich nicht von einem Anwalt vertreten. Persönliche Verhandlungen vor Ort schaffen genauso Vertrauen in die Entscheidungen der Justiz wie eine Vertrautheit mit den lokalen Akteuren und Betrieben. Videoverhandlungen und Gerichtstage sind aus Sicht der beteiligten Verbände deshalb keine geeignete Alternative für einen wohnortnahen Zugang zum Gericht. „Menschen, die die Dienste von Arbeits- und Sozialgerichten in Anspruch nehmen, gehören in der Regel zu den Schwächeren im Land“, so Gabriele Wegner. „Lange Wege, um zum Recht zu kommen, sind ihnen nicht zumutbar. Das gilt ganz besonders für Ratsuchende im Bereich der Sozialgerichte, die oft krank oder schwerbehindert sind. Aber auch für die Arbeitsgerichte hat sich die regionale Erreichbarkeit bewährt. Sie bieten in ihren kleinen Einheiten schnellen und effektiven Rechtsschutz.“
Einsparungen stehen in keinem Verhältnis zu den sozialen Kosten
Die Landesregierung begründet ihre Pläne mit Einsparpotenzialen und Effizienzsteigerungen. Diese Rechnung stellen die Bündnispartner jedoch deutlich infrage und kritisieren, dass diese angeblichen Einsparungen in keinem Verhältnis zu den sozialen und personellen Kosten stehen. „Die massive Einschränkung des Zugangs zum Recht und die Nachteile, die für die Betroffenen durch lange Anfahrtswege entstehen, können durch fragwürdige Einspareffekte nicht gerechtfertigt werden“, erklärte Gabriele Wegner. „Der Umzug der Arbeits- und Sozialgerichte soll im Übrigen bereits 2027 vollzogen sein. In knapp zwei Jahren will die Ministerin ein Grundstück erwerben, gegebenenfalls ein altes Gebäude abreißen oder sanieren, bzw. ein neues arbeitsfertig errichten und mit neuester Technik ausstatten lassen!! Da frage ich mich doch: Wieviel Realitätssinn steckt eigentlich in einer solchen Behauptung?“
Das Bündnis fordert daher die Rücknahme des Kabinettsbeschlusses zugunsten eines ergebnisoffenen Dialogs mit den beteiligten Verbänden, in dem die tatsächlichen Einsparpotentiale und Kosten verschiedener Varianten einer Gerichtsstrukturreform auf den Tisch kommen.